Mit Urteil vom 7. Juni 2016 (Az. KZR 6/15) wies der Bundesgerichtshof die Klage der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein gegen den Eisschnelllauf-Weltverband International Skating Union (ISU) als unzulässig ab. Ihr stehe, so der Bundesgerichtshof in seiner Urteilsbegründung, die von der ISU erhobene Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit entgegen.
Von Bjarte Hetland – Own work, CC BY 3.0, Link
Schiedsvereinbarung zwischen Verband und Athletin
Wenn sich Parteien in einer Schiedsvereinbarung auf eine Streitschlichtung durch ein Schiedsgericht geeinigt haben, so tritt das Schiedsgericht unter den Voraussetzungen der Zivilprozessordnung oder des jeweils maßgeblichen ausländischen Rechts an die Stelle der staatlichen Gerichtsbarkeit. Die Athletin hatte mit der ISU im Vorfeld der Eisschnelllauf-Weltmeisterschaften 2009 in Hamar in Norwegen eine Schiedsvereinbarung getroffen. Demnach sollten sämtliche Streitigkeiten auch im Zusammenhang mit Doping vor dem Court of Arbitration for Sport (CAS) als dem Internationalen Sportschiedsgericht abschließend verhandelt und entschieden werden.
Dopingsanktionsverfahren des Weltverbandes ISU
Wenige Wochen nach der Weltmeisterschaft in Hamar hatte die ISU gegen Claudia Pechstein ein Dopingsanktionsverfahren wegen auffälliger Blutwerte eingeleitet. Die ISU ging davon aus, dass die schwankenden und teilweise über dem Grenzwert liegenden Werte an jungen roten Blutkörperchen (Retikulozyten) eine Folge der Einnahme des auf der Verbotsliste stehenden Erythropoietin (EPO) seien. Die Athletin berief sich unter Vorlage von Sachverständigengutachten darauf, dass die Werte Folge einer Anomalie seien. Die ISU-Disziplinarkommission hielt diese Möglichkeit für unwahrscheinlich und verlangte von der Athletin, einen Entlastungsnachweis zu führen. Claudia Pechstein lehnte dies unter Hinweis auf die Beweislast des Verbandes ab. Daraufhin verhängte die Disziplinarkommission mit Beschluss vom 1. Juli 2009 eine zweijährige Sperre. Gegen diese Entscheidung rief die Athletin den CAS an und berief sich dort auf weitere Sachverständigengutachten, die es für unwahrscheinlich oder (nahezu) unmöglich hielten, dass die auffälligen Blutwerte durch EPO hervorgerufen sein könnten. Der CAS war anderer Auffassung: Gestützt auf Auszüge aus der Expertise des von der ISU beauftragten Sachverständigen hielt er es für hinreichend wahrscheinlich (Überzeugung zur „comfortable satisfaction“), dass die auffälligen Blutwerte auf Blutdoping zurückzuführen seien und bestätigte die zweijährige Dopingsperre mit Schiedsspruch vom 25. November 2009.
Verfahren vor dem Schweizerischen Bundesgericht
Die Athletin focht den Schiedsspruch des CAS vergeblich vor dem Schweizerischen Bundesgericht an: Zunächst hatte sie die Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Verfahrensmängeln beantragt. Sie berief sich unter darauf, dass das Schiedsgericht einen ihrer Schriftsätze mit relevantem Vortrag zur Erklärung der Blutanomalie nicht zur Akte genommen und bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt habe. Das Bundesgericht konnte darin und in anderen gerügten Verstößen gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens keine Gründe für die Aufhebung des Schiedsspruchs erkennen. Darüber hinaus beantragte die Athletin eine Wiederaufnahme des Verfahrens und berief sich auf ein erst nach dem Schiedsspruch bekannt gewordenes Messverfahren als neues Beweismittel. Es war – nach zwischenzeitlich von mehreren internationalen Experten bestätigter Auffassung – nachgewiesen worden, dass die von der ISU als Indiz für Doping herangezogenen Blutwerte (erhöhte Retikulozyten) ihre Ursache in einer vom Vater ererbten Blutanomalie hatten. Das Schweizerische Bundesgericht lehnte den Antrag mit dem Hinweis ab, die Frage der Blutanomalie sei bereits im Schiedsverfahren diskutiert worden und Gegenstand der dortigen Beweisaufnahme gewesen.
Schadensersatzklage vor dem Landgericht München I
Vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Thomas Summerer, Simon Bergmann und Dr. Christian Krähe verklagte Claudia Pechstein im Dezember 2012 sowohl die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) als auch die ISU auf Schadensersatz. Da die DESG ihren satzungsmäßigen Sitz in München hat, nahm die Athletin beide Verbände vor dem Landgericht München I in Anspruch.
Von Die Autorenschaft wurde nicht in einer maschinell lesbaren Form angegeben. Es wird Bubo bubo als Autor angenommen (basierend auf den Rechteinhaber-Angaben). – Die Autorenschaft wurde nicht in einer maschinell lesbaren Form angegeben. Es wird angenommen, dass es sich um ein eigenes Werk handelt (basierend auf den Rechteinhaber-Angaben)., CC BY-SA 3.0, Link
Mit Urteil vom 26.02.2014 (Aktenzeichen 37 O 28331/12) wies das Landgericht München I die Schadensersatzklage der Athletin ab. Zugleich stellte es fest, dass die getroffene Schiedsvereinbarung unwirksam sei, da die Athletin diese Vereinbarung nicht freiwillig unterzeichnet habe. Vielmehr sei sie hierzu gezwungen gewesen, da sie andernfalls nicht an der von der ISU veranstalteten Eisschnelllauf-Weltmeisterschaft hätte teilnehmen können. Da im internationalen Sport jeweils nur ein Fachverband für die Ausrichtung von Weltmeisterschaften zuständig ist (Ein-Platz-Prinzip), habe die ISU eine monopolartige Stellung inne und dürfe diese nicht dazu missbrauchen, eine ihr günstige Schiedsvereinbarung abzuschließen. Dies sei aber der Fall: Vor dem CAS können Schiedsrichter ausschließlich aus einer geschlossenen Liste ernannt werden.
Der für die Ernennung der Schiedsrichter zuständige International Council of Arbitration for Sport (ICAS) besteht überwiegend aus Vertretern der Spitzensportverbände und der Olympischen Komitees. Diese stellen zwölf der zwanzig Vertreter. Vier Vertreter im Gremium können von Athletenseite benannt werden, während weitere vier individuelle Vertreter von den sechzehn zunächst bestellten Gremienmitgliedern ausgewählt werden. Zwar hat jede Seite die Möglichkeit, einen Schiedsrichter zu nennen. Die Schiedsrichter müssen jedoch aus der genannten geschlossenen Liste stammen. Damit sei, so das Landgericht, nicht auszuschließen, dass bei einem Athleten der Eindruck entstehe, die Schiedsrichter seien nicht gänzlich neutral, sondern fühlten sich eher den Verbänden als den Sportlern verpflichtet. Dieser Eindruck genüge, um eine Befangenheit der Schiedsrichter zu begründen, selbst wenn objektiv kein Zweifel an der Neutralität bestünde.
Das Landgericht München I wies die Schadensersatzklage trotz der seiner Auffassung nach unwirksamen Schiedsvereinbarung mit der Begründung ab, dass sich die Athletin nach bereits durchgeführtem Schiedsverfahren nicht mehr nachträglich auf die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung berufen könne. Vielmehr hätte sie dies schon vor oder während des Schiedsverfahrens tun müssen. Wer sich vorbehaltlos auf ein Schiedsverfahren einlasse, könne nicht dann, wenn ein ungünstiges Ergebnis herauskomme, nachträglich die Unwirksamkeit der zugrundeliegenden Schiedsvereinbarung einwenden.
Berufungsverfahren vor dem Kartellsenat des Oberlandesgerichts München
Während das Urteil des Landgerichts im Verhältnis zu der von Rechtsanwalt Dr. Marius Breucker (Stuttgart) vertretenen DESG rechtskräftig wurde, legte die Athletin gegen die ISU Berufung ein. Der Kartellsenat des Oberlandesgerichts München entschied zunächst nur über die Zulässigkeit der Klage. Die Zulässigkeit war vorab zu klären und von grundlegender Bedeutung, da die Klage bei Wirksamkeit der zugrundeliegenden Schiedsvereinbarung unzulässig wäre, so dass nicht in eine Sachprüfung eingetreten werden könnte. Mit Urteil vom 15. Januar 2015 (Aktenzeichen U 1110/14 Kart) entschied das Oberlandesgericht München, dass die Klage zulässig sei: Die zugrundeliegende Schiedsvereinbarung sei unwirksam, da sie gegen Kartellrecht verstoße. Insbesondere liege ein Verstoß gegen § 19 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vor: Die ISU habe ihre marktbeherrschende Stellung als Monopolverband missbräuchlich ausgenutzt, um eine ihr günstige Schiedsvereinbarung mit der Zuständigkeit des Court of Arbitration for Sport abzuschließen.
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Das Oberlandesgericht München stellte wesentlich darauf ab, dass der für die Zusammenstellung der Schiedsrichterliste zuständige Ernennungsausschuss ICAS überwiegend von Vertretern des Internationalen Olympischen Komitees, der Nationalen Olympischen Komitees und der Internationalen Sportverbände gewählt werde. Diese stellen zwölf Vertreter. Lediglich vier Vertreter und damit ein Fünftel werden mit Blick auf die Wahrung der Interessen der Athleten gewählt. Weitere vier Vertreter – also wiederum ein Fünftel – sollen auf Personen entfallen „die unabhängig von den für die Vorschläge der anderen Schiedsrichter verantwortlichen Personen sind“. Die Verfahrensordnung des CAS bringt damit zum Ausdruck, dass ein Fünftel der gewählten Vertreter die Interessen der Athleten im Blick haben. Lediglich einem Fünftel wird die Eigenschaft zugesprochen, unabhängig von den internationalen Sportorganisationen einerseits und den Athleten andererseits zu sein. Diese Zusammenstellung erweckt aus Sicht des Oberlandesgerichts Zweifel an der Unabhängigkeit und Neutralität des Gremiums, welches für die Zusammenstellung von unabhängigen und neutralen Schiedsrichtern Sorge tragen soll. Da es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelte, ließ das Oberlandesgericht die Revision über das Zwischenurteil zur Zulässigkeit der Klage zu.
Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof
Mit Urteil vom 7. Juni 2016 wies der Bundesgerichtshof die Klage als unzulässig ab. Er stützte seine Entscheidung darauf, dass die ISU zwar eine marktbeherrschende Stellung inne habe, diese jedoch nicht missbräuchlich ausgenutzt habe. Für die Annahme eines „Missbrauchs“ bedürfe es einer Abwägung der widerstreitenden Interessen. Dabei sei nicht lediglich auf die Berufsfreiheit und den Justizgewährungsanspruch der Athletin abzustellen, sondern auch auf die Verbandsautonomie der ISU. Zwar hätten die Sportverbände und Olympischen Komitees bei Besetzung des CAS-Ernennungsausschusses für die Schiedsrichterliste ein Übergewicht. Ob darin ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung liege, sei durch eine Abwägung der jeweiligen Interessen zu ermitteln.
BGH: Gleichlauf der Interessen
Der Bundesgerichtshof sah in der ungleichen Zusammensetzung des Ernennungsausschusses ICAS keine Gefährdung der Neutralität und Unabhängigkeit des Schiedsgerichts: Grundsätzlich sei die Dopingbekämpfung insgesamt im Interesse des Sports und damit sowohl des Verbandes als auch der Sportler. Es gebe, so der Bundesgerichtshof, streng genommen also gar keinen Interessenkonflikt, da alle Beteiligten im Kampf gegen Doping vereint seien. Ein Übergewicht der Verbände bei der Besetzung der Schiedsrichterliste sei vor diesem Hintergrund nicht Ausdruck eines Missbrauchs einer machtbeherrschenden Stellung.
Von ComQuat – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link
Diese Begründung stieß in der Literatur auf Zustimmung (Adolphsen, Legal Tribune Online vom 07.06.2016), aber auch auf Kritik. Der Annahme eines Interessengleichlaufs zwischen Verband und Athlet in Dopingsanktionsverfahren widersprach etwa der Bayreuther Kartellrechtler Professor Dr. Peter W. Heermann (NJW 2016, 2224 ff). mit dem Hinweis, dass die Rollen von Kläger (Verband) und Beklagten (Athleten) in Dopingsanktionsverfahren klar verteilt seien. Die Verbände müssen – nicht immer zu ihrer Freude und vollen Überzeugung – jedem Dopingfall in ihrer Sportart nachgehen und entsprechende Sanktionen verhängen. Unterlassen sie dies, drohen ihnen auf Basis des Welt-Anti-Doping-Codes Sanktionen durch Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA). Auch wenn es sich um Zivilrecht handelt, ähnelt ein Dopingsanktionsverfahren strukturell in vielen Punkten einem Strafverfahren. Jedenfalls wird ein des Dopings beschuldigter Athlet nicht auf den Gedanken kommen, im konkreten Verfahren bestünde ein Gleichlauf seiner Interessen mit denen des ihn verklagenden Verbandes. Der Bundesgerichtshof hebt denn auch in seiner Begründung nicht auf das konkrete Verfahren, sondern auf eine abstrakte Betrachtung ab: Verbände einerseits und Athleten andererseits stünden sich nicht im Sinne zweier, „grundsätzlich als von gegensätzlichen Interessen geleitete[r] Lager“ gegenüber. Vielmehr hätten die internationalen Sportverbände teilweise durchaus unterschiedliche Interessen.
In Dopingsanktionsverfahren allerdings besteht ein grundsätzliches Interesse der Verbände, einen aufgetretenen Dopingfall aufzuklären und Verstöße zu sanktionieren. Dies ergibt sich – schon aufgrund der Vorgaben des Welt-Anti-Doping-Codes – auch aus den Satzungen der Sportverbände, an denen sie ihr Verhalten auszurichten haben. Der Bundesgerichtshof sieht dies im Ergebnis auch so, wenn er sagt, dass die Verbände „in Dopingfällen durchaus gleichgerichtete Interessen vertreten“. Dieses Interesse decke sich, so der BGH, jedoch grundsätzlich mit den Interessen der Athleten an einem dopingfreien Sport. Bei dieser Betrachtung stellt der BGH nicht auf die Interessen der Beteiligten eines streitigen Schiedsverfahrens ab, sondern macht – mehrere Abstraktionsebenen höher – das allgemeine Interesse an einem fairen, wettbewerbsgleichen und damit auch dopingfreien Sport zum Gegenstand der Betrachtung und Bewertung. Bei der Beurteilung eines Interessengegensatzes, der zu einem Ungleichgewicht in der Besetzung eines Schiedsgerichts führen kann, müsste nach Heermann (NJW 2016, 2224, 2225) stattdessen auf die konkrete Konstellation abgestellt werden. Denn übergeordnet und abstrakt wird man immer gemeinsame Interessen finden, etwa das grundsätzlich zu bejahende Interesse zweier Vertragspartner an der Verwirklichung des Vertragszwecks. Demnach sollte nicht auf das in dieser Allgemeinheit von jedermann bejahte Interesse an einem sauberen Sport abgestellt werden, wenn sich in einem Dopingsanktionsverfahren Verband und Athlet aufgrund der unterschiedlichen Rollenverteilung kontradiktorisch gegenüberstehen.
Verfahrensordnung des CAS
Der Bundesgerichtshof führt in seinem Urteil aus, dass das Übergewicht der Sportorganisationen durch die Verfahrensordnung des CAS ausgeglichen werde, die eine Unabhängigkeit und Neutralität der jeweiligen Schiedsrichter gewährleiste. Jede Partei könne aus der Schiedsrichterliste einen ihr geeignet erscheinenden Schiedsrichter wählen. Jeder Schiedsrichter muss auf etwaige Aspekte hinweisen, die zu seiner Befangenheit führen könnten. Auch unabhängig von solchen Hinweisen ist jede Partei berechtigt, einen Schiedsrichter wegen Befangenheit abzulehnen. Befangenheit bedeutet dabei nicht, dass ein Schiedsrichter parteiisch ist; vielmehr genügt schon der subjektive Eindruck, es könne ihm an Neutralität fehlen, um eine Befangenheit zu begründen und die Ablehnung des Schiedsrichters zu rechtfertigen.
Ernennung des Schiedsgerichtsvorsitzenden
Der BGH schrieb in seiner Pressemitteilung vom 7. Juli 2016, die von dem Athleten einerseits und dem Verband andererseits ernannten Schiedsrichter könnten gemeinsam den Obmann des Schiedsgerichts bestimmen. In diesem Punkt widerspricht die in der Pressemitteilung veröffentlichte Begründung des Bundesgerichtshofs der Verfahrensordnung des CAS: Artikel 54 Abs. 3 CAS Code sieht vor, dass in Berufungsverfahren vor dem CAS (nach erstinstanzlicher Verbandsentscheidung) der Vorsitzende des Schiedsgerichts durch den Präsidenten der CAS-Berufungskammer (eine Verwaltungseinheit des CAS) ernannt wird. So war es auch in der Causa Pechstein. Da auch der Vorsitzende der Berufungskammer durch den Ernennungsausschuss ICAS ernannt wird, hat diese auf die Auswahl des Vorsitzenden des Schiedsgerichts einen bestimmenden Einfluss.
In der Urteilsbegründung erwähnt der Bundesgerichtshof, dass der Vorsitzende des Schiedsgerichts durch den Präsidenten der Berufungsabteilung ernannt werden kann, der seinerseits durch einfache Mehrheit des ICAS gewählt wird. Der Bundesgerichtshof geht in seiner Begründung jedoch davon aus, diese Möglichkeit bestünde nur, „wenn sich die Streitparteien insoweit nicht einigen“. Artikel 54 Abs. 3 CAS Code sieht indes eine solche Möglichkeit zur Einigung durch die Schiedsparteien nicht vor. Vielmehr wird der Vorsitzende in Berufungsverfahren grundsätzlich durch den Präsidenten der Berufungsabteilung ernannt. Der Person des Vorsitzenden kommt für das Schiedsverfahren entscheidende Bedeutung zu. Es überrascht daher, dass der Bundesgerichtshof die Frage der Ernennung des Vorsitzenden nicht thematisiert und offensichtlich von einer falschen Prämisse ausgeht (so Lorenz, Legal Tribune online vom 06.07.2016). Denn in seiner Begründung geht er ausführlich darauf ein, dass die Unabhängigkeit und Neutralität des Schiedsgerichts dadurch gewährleistet sei, dass beide Seiten einen Schiedsrichter ernennen können. Allein der Umstand, dass die Schiedsrichter aus einer vom ICAS zusammengestellten Liste gewählt werden müssten, begründe noch keine Disparität des Schiedsgerichts. Mit dieser Argumentation müsste der Bundesgerichtshof aber zum gegenteiligen Ergebnis kommen, wenn er berücksichtigte, dass der Vorsitzende des Schiedsgerichts nicht von beiden Parteien, mithin nicht paritätisch ernannt wird, sondern von einem direkt vom ICAS bestimmten Vertreter. Denn wenn im ICAS der organisierte Sport ein Übergewicht hat, so gilt dies auch für den vom ICAS ernannten Präsidenten der Berufungsabteilung. Dieser kann durch die Auswahl des Vorsitzenden bestimmenden Einfluss auf das Schiedsverfahren nehmen.
Freiwilligkeit der Schiedsvereinbarung
Der Bundesgerichtshof bejaht die Freiwilligkeit der Schiedsvereinbarung. Zwar seien die Athleten als Voraussetzung für die Teilnahme an Sportwettbewerben gezwungen, die Schiedsvereinbarung zu unterzeichnen. Diese Fremdbestimmtheit sei aber nicht mit „Unfreiwilligkeit“ gleichzusetzen. Dies folge schon daraus, dass der Gesetzgeber mit Streichung des § 1025 Abs. 2 ZPO a. F. zum Ausdruck gebracht habe, dass die Ausnutzung einer wirtschaftlichen oder sozialen Überlegenheit einer Partei nicht zu Nichtigkeit des Schiedsvertrages führen müsse. Zudem seien auch die Verbände aufgrund der Vorgaben des Welt-Anti-Doping-Codes gezwungen, eine Schiedsvereinbarung abzuschließen. Heermann (NJW 2016, 2224, 2225 f.). kritisiert, dass die feinsinnige Unterscheidung zwischen „Unfreiwilligkeit“ und „Fremdbestimmtheit“ im Gesetz und in Rechtsprechung und Literatur keine hinreichende Grundlage finde. Aus dem Umstand, dass auch der Verband zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung gezwungen sei, könne nicht auf die Freiwilligkeit des Athleten geschlossen werden. Auch § 11 Anti-Doping-Gesetz (ADG) helfe, so Heermann, nur bedingt: Zwar sei dort die Möglichkeit des Abschlusses von Schiedsvereinbarungen vorgesehen. Über die Frage der Freiwilligkeit treffe § 11 ADG jedoch keine Aussage. Auf die dahin gehende Gesetzesbegründung allein könne nicht abgestellt werden, wenn und soweit diese im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze finde.
BGH: (Grund-) Rechte der Athleten hinreichend gewahrt
Im Ergebnis sieht der Bundesgerichtshof die Rechte der Athletin gewahrt. Dies folge auch daraus, dass der unterlegene Athlet gegen den Schiedsspruch das Schweizerische Bundesgericht anrufen könne. Damit sei dem Justizgewährungsanspruch nach Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz genüge getan, denn dieser verlange nicht, dass ein Athlet deutsche Gerichte anrufen könne, wenn er sich zuvor einem internationalen Schiedsgericht unterworfen habe.
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Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs ist der zivilrechtliche Instanzenzug in Deutschland auch im Verhältnis zur ISU abgeschlossen. Der Athletin bleibt die Möglichkeit, gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einzulegen.
Nach dem Zwischenurteil des Oberlandesgerichts München beantwortete der Stuttgarter Rechtsanwalt Marius Breucker aus der Kanzlei Wüterich Breucker im Interview mit dem Deutschland (DLF) die Fragen von Astrid Rawohl:
http://www.kooperationsportrecht.de/beitrag_dlf.htm
Das Disziplinarverfahren des Weltverbandes ISU gegen Claudia Pechstein und das anschließende Schiedsverfahren vor dem Internationalen Sportschiedsgericht CAS in Lausanne gaben Anlass für Reformüberlegungen sowohl hinsichtlich der Organisation des CAS als Schiedsgericht als auch hinsichtlich des sportrechtlichen Schiedsverfahrens:
http://www.prmaximus.de/107855