Schritt für Schritt – Anwalt Marius Breucker über den Weg durch den Zivilprozess

Wer führt schon gern einen Gerichtsprozess? Manchmal lässt es sich nicht vermeiden, will man nicht auf sein Geld oder sein gutes Recht verzichten. Viele scheuen den Gang vors Gericht auch aus Unwissenheit. Wer einen Zivilprozess führt oder – als Beklagter – führen muss, steht oft vor einer Reise ins Ungewisse. „Den Standard-Zivilprozess gibt es nicht“, weiß Rechtsanwalt Dr. Marius Breucker aus der Stuttgarter Kanzlei Wüterich Breucker. Er erläutert den klassischen Ablauf und die wichtigsten Stationen eines Zivilprozesses vor dem Amtsgericht oder Landgericht.

Treten Streitigkeiten auf, wird der Anwalt mit seinem Mandanten zunächst den Sachverhalt aufklären und prüfen, welche Beweismittel zur Verfügung stehen. Im nächsten Schritt wird erwogen, ob weitere Korrespondenz, etwa ein anwaltliches Mahnschreiben zielführend ist. Wichtig ist in diesem Fall, dass der Mandant selbst bereits gemahnt hat. Nur in diesem Fall erhält er die Kosten für ein anwaltliches Mahnschreiben von der Gegenseite erstattet. „Oftmals findet sich durch ein anwaltliches Mahnschreiben doch noch ein Weg, den Kunden zur Zahlung zu bewegen“, weiß Marius Breucker. Erst wenn auch solche Maßnahmen ersichtlich nicht fruchten, empfiehlt sich – dann aber besser früher als später – der Gang vors Gericht. Dort besteht immer noch die Möglichkeit, das Verfahren einvernehmlich durch Vergleich zu beenden.

 

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Anwalt als „Navigator“ durch den Zivilprozess

Wenn die Entscheidung getroffen wird, ein Verfahren zu führen, sollte der Mandant, der dann zur „Partei“ wird, jederzeit die größtmögliche Kontrolle haben. Hierfür ist ein Grundverständnis der Abläufe unabdingbar. Manche Mandanten wollen sich nicht mit den Details des Zivilprozesses befassen, sondern überlassen dies ganz dem Anwalt. Viele wollen aber verstehen, in welchem Stadium des Prozesses sie sich befinden und mit welchen Entwicklungen zu rechnen ist. „Aufgabe des Anwaltes ist es nicht nur, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, sondern auch, seinem Mandanten, wenn er das wünscht, die Abläufe verständlich zu erklären. Dies versetzt ihn in die Lage, jederzeit die Entscheidung über die Fortführung oder Beendigung des Rechtsstreites oder zielführende Maßnahmen zu treffen“, erläutert Marius Breucker.

Klageerhebung

Der „normale“ Zivilprozess beginnt mit der Erhebung einer Klage durch den Kläger. Ist ein gerichtliches Mahnverfahren vorausgegangen, spricht man von „Anspruchsbegründung“. In der Klageschrift muss der Kläger konkrete Anträge stellen, die sein Klageziel beschreiben. Zugleich muss er den wesentlichen Sachverhalt schildern und die entsprechenden Beweise vorlegen. Mit Einreichung der Klageschrift bei Gericht ist die Klage „anhängig“. Sind die Formalien in Ordnung und der Gerichtskostenvorschusses eingezahlt, stellt das Gericht die Klage dem Beklagten zu. Mit Zustellung ist die Klage „rechtshängig“. „Besonders bedeutsam ist die prompte Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses, wenn mit der Klage eine Verjährung gehemmt werden soll. Denn ohne Gerichtskostenvorschuss keine Zustellung – und ohne Zustellung keine Verjährungshemmung!“, warnt Rechtsanwalt Marius Breucker.

Klageerwiderung

Mit Zustellung der Klageschrift fordert das Gericht den Beklagten auf, auf die Klage zu erwidern, wenn er sich in der Sache verteidigen will. Das Gericht kann für dieses Stadium des Verfahrens zwischen zwei Varianten wählen: Entweder es bestimmt einen „frühen ersten Termin“. In diesem Fall räumt es dem Beklagten regelmäßig eine Frist zur Klageerwiderung von zwei bis vier Wochen ein und bestimmt zeitnah einen Termin zur Güteverhandlung und ersten mündlichen Verhandlung. Alternativ kann das Gericht ein „schriftliches Vorverfahren“ anordnen. In diesem Fall muss der Beklagte innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Klageschrift die Verteidigung anzeigen. Hierbei handelt es sich um eine „Notfrist“, die nicht verlängert werden kann. Versäumt sie der Beklagte, so kann gegen ihn ein „Versäumnisurteil“ ohne nähere Sachprüfung ergehen. „Ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren sollte der Kläger bereits in der Klageschrift beantragen“ Nach Ablauf der zweiwöchigen Frist zur „Verteidigungsanzeige“ erhält der Beklagte eine weitere Frist zur inhaltlichen Klageerwiderung gesetzt. Diese beträgt regelmäßig nochmals zwei Wochen, kann aber auf begründeten Antrag des Beklagten vom Gericht verlängert werden. Die Klageerwiderung muss sämtliche Tatsachen und Beweisangebote enthalten, auf die der Beklagte seine Verteidigung stützen will.

 

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Replik und Duplik

Nach Eingang der Klageerwiderung kann das Gericht den Kläger zur erneuten Stellungnahme – „Replik“ – auffordern. Der Kläger erhält damit Gelegenheit, nochmals auf die Klageerwiderung zu antworten. Je nachdem, ob sich hieraus neue Aspekte ergeben, kann das Gericht auch dem Beklagten nochmals die Möglichkeit einräumen, auf die Replik des Klägers in einem Schriftsatz zu reagieren („Duplik“).

Mündliche Verhandlung

Bestimmt das Gericht einen frühen ersten Termin, erörtert es den Sachverhalt und die Rechtslage mit den Parteien und eruiert Möglichkeiten einer vergleichsweisen Einigung. Regelmäßig fasst das Gericht hierfür den maßgeblichen, aus den Schriftsätzen ersichtlichen Sachverhalt zusammen, stellt ergänzende Fragen an die Parteien und „sortiert“ die entscheidenden Fragen. Das Gericht kann schon in der mündlichen Verhandlung Hinweise erteilen, wie es die Rechtslage nach vorläufiger Auffassung beurteilt. Kommt es nicht zu einer Einigung im Rahmen der Güteverhandlung, so erhalten die Parteien Gelegenheit, ihre Anträge zu stellen. Regelmäßig erfolgt dies, indem die Parteien auf die vorangegangenen Schriftsätze, namentlich die Klageschrift und die Klageerwiderung Bezug nehmen. Wer auf ein kurzfristiges Vorbringen der Gegenseite, etwa auf neue Aspekte in der mündlichen Verhandlung, noch einmal Stellungnahme will, kann einen Antrag auf Schriftsatznachlass stellen. Sollten die Vergleichsbemühungen scheitern, folgt ein zweiter Verhandlungstermin, in welchem erforderlichenfalls Beweis erhoben wird. Erst zu diesem zweiten Termin werden die in der Klageschrift oder der Klageerwiderung benannten Zeugen geladen.

Auch auf das schriftliche Vorverfahren folgt eine mündliche Verhandlung. Da das Verfahren zu diesem Zeitpunkt im Idealfall „ausgeschrieben“ ist, kann das Gericht zu diesem Termin bereits die benannten Zeugen laden. Diese Entscheidung liegt aber auch im schriftlichen Vorverfahren im Ermessen des Gerichts. Sollten sich die Parteien in der mündlichen Verhandlung nicht einigen, kann das Gericht einen weiteren Termin mit (weiterer) Beweisaufnahme anordnen.

Termin zur Verkündung einer Entscheidung

Das Gericht schließt, wenn die Parteien zur Sache vorgetragen und ihre Anträge gestellt haben, die mündliche Verhandlung und bestimmt einen Termin zur Verkündung einer Entscheidung. In diesem Termin kann ein Urteil oder auch nur ein Hinweisbeschluss ergehen, in dem die Parteien auf maßgebliche Punkte hingewiesen und neuerlicher Vortrag erbeten wird. Das Gericht kann auch einen Beweisbeschluss erlassen und Zeugen laden, einer Partei die Vorlage von Unterlagen aufgeben oder einen Sachverständigen beauftragen, fachliche Fragen zu klären, die das Gericht alleine nicht hinreichend beurteilen kann.

 

Anwaltsstrategien im Zivilprozess ©Wüterich Breucker
Anwaltsstrategien im Zivilprozess ©Wüterich Breucker

Urteil

Anders als im Strafverfahren ergeht im Zivilprozess das Urteil regelmäßig nicht in der mündlichen Verhandlung selbst, sondern folgt erst einige Wochen später per Post. Aufgabe des Anwaltes ist es, das Urteil im Hinblick auf die darin getroffenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen zu prüfen und seinen Mandanten über mögliche Maßnahmen und die Konsequenzen des Urteils zu beraten. Sollte das Urteil falsche Tatsachenfeststellungen enthalten, wird der Anwalt einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung stellen. „Dies ist mit Blick auf die Berufungsinstanz bedeutsam, da dort grundsätzlich die erstinstanzlich festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen sind“, erläutert Marius Breucker. Schreibfehler können durch Urteilsberichtigung korrigiert, unvollständige Entscheidungen im Wege der Urteilsergänzung komplettiert werden. Bei einem inhaltlich ungünstigen Urteil besteht die Möglichkeit, hiergegen Berufung einzulegen.

Ein erstinstanzliches Urteil ist „vorläufig vollstreckbar“. Dies bedeutet, dass die obsiegende Partei die Entscheidung des Urteils notfalls mit Hilfe eines Gerichtsvollziehers durchsetzen kann. Regelmäßig muss sie hierfür Sicherheit leisten, solange das Urteil nicht rechtskräftig ist. Der Anwalt muss mit dem Mandanten frühzeitig erörtern, ob er vorläufig vollstrecken will und wie er die hierfür notwendige Sicherheit leisten kann. „Erforderlichenfalls muss der Anwalt eine bestimmte Art der Sicherheitsleistung bei Gericht beantragen, etwa wenn der Mandant die Sicherheit durch Bürgschaft einer EU-Bank erbringen will“, erklärt Marius Breucker. Die Rechtskraft des Urteils tritt erst ein, wenn die Berufungsfrist abgelaufen ist, ohne dass eine Seite Berufung eingelegt hat. Erst dann ist eine Vollstreckung aus dem Urteil auch ohne Sicherheitsleitung möglich.

Analyse und Optimierung

Im besten Fall analysieren Anwalt und Mandant im Nachgang des Verfahrens – auch im Falle eines Erfolges – das vorangegangene Verfahren auf Stärken und Schwächen der Positionen des Mandanten und ziehen hieraus Schlussfolgerungen für dessen künftige Praxis. Nicht selten führt ein Gerichtsverfahren dazu, dass ein Unternehmen seine Vertragsbedingungen oder Formulare anpassen und optimieren kann. Die gewonnen Erkenntnisse aus einem Zivilprozess und deren Umsetzung in künftigen Abläufen des Unternehmens bedeuten langfristig oft den größten Gewinn aus einem Gerichtsverfahren, weiß Marius Breucker.

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